Am 12. Mai legte das Verteidigungsministerium im Landesverteidigungsausschuss offen, wohin die Reise geht – in Wien und ebenso in Brüssel. Denn Österreichs Sicherheitspläne verschmelzen zurzeit mit jenen der EU. Das gemeinsame Ziel: die Entstehung einer Europäischen Verteidigungsunion.

Es gehe um eine „handlungsfähige, resiliente und strategisch autonome Europäische Union“, wie das Ministerium betonte. Im Klartext heißt das: ein massiver Ausbau militärischer Strukturen auf EU-Ebene, inklusive gemeinsamer Waffenbeschaffung, Stärkung der Rüstungsindustrie und Milliardeninvestitionen. All das soll gelingen – „durch den Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion“, so die offizielle Formulierung.

Weißbuch zur Aufrüstung: Brüssel warnt vor Russland

Deutlich wird die Ausrichtung im von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits präsentierten „Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung“ – der exxpress berichtete. Dieses soll als „zentrales Dokument“ für den Aufbau der Verteidigungsunion dienen, unterstreicht das Ministerium. Es positioniere die EU „langfristig als handlungsfähigen Akteur in der globalen Sicherheitslandschaft“.

Von der Leyen und Selenskyj: EU und Ukraine rücken näher zusammen, das spiegelt sich auch in der Verteidigungspolitik wider. GETTYIMAGES/Thierry Monasse

Als Begründung dient Brüssel ein dramatisches Szenario: Sollte Russland den Krieg in der Ukraine gewinnen, sei ein Angriff auf Europa binnen fünf Jahren denkbar. Die USA unter Trump gelten zudem als unzuverlässiger Partner – die EU müsse daher selbst aufrüsten.

800 Milliarden für Raketen, Drohnen und Artillerie

Geplant ist ein umfassendes Rüstungspaket: Luftabwehr, Artilleriesysteme, Drohnen und Raketen sollen in Zukunft EU-weit gemeinsam beschafft werden. Mindestens 40 Prozent aller militärischen Güter sollen laut Weißbuch über koordinierte Programme laufen.

Zur Finanzierung will die EU-Kommission rund 800 Milliarden Euro mobilisieren – über Kredite und durch Ausnahmen vom Stabilitätspakt. Gleichzeitig sollen Regeln für die Rüstungsindustrie gelockert und die Ukraine noch stärker mit Waffen unterstützt werden.

Österreichs Soldaten – bald im Dienst einer EU-Armee?Bundesministerium für Landesverteidigung/HBF/Carina Karlovits

Österreich: Mit dabei!

Auch das European Defence Industry Programme (EDIP) steht auf der Agenda. Es soll die europäische Rüstungsindustrie langfristig stärken und den Ausbau der Produktionskapazitäten fördern. Der Kostenrahmen: 1,5 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt bis 2027.

Und Österreich? Das Verteidigungsministerium stellt klar: „Österreich unterstützt das Vorhaben ausdrücklich und bringt sich aktiv in die Verhandlungen ein.“ Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Neutralität, wie betont wird.

Gegenüber dem exxpress erklärt Ministeriumssprecherin Anna-Maria Roth: „Die Teilnahme Österreichs an Initiativen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU ist mit der Neutralität vereinbar.“ Auch beim EDIP wolle man mitmachen – wegen Kostenvorteilen und effizienterem Beschaffungswesen.

Gardesoldaten in Wien: Österreichs Heer im Zeichen der NeutralitätAPA/ROLAND SCHLAGER

Kerber warnt: EU-Kommission begeht Rechtsbruch

Scharfe Kritik kommt vom Verfassungsjuristen und Militärkenner Prof. Markus C. Kerber (TU Berlin). Er warnt gegenüber exxpress: „Österreich springt auf den europäischen Zug auf – aber niemand fragt, ob das, was die EU tut, überhaupt rechtens ist.“

Wieder einmal versuche die EU-Kommission, sich Kompetenzen anzueignen, die ihr laut Verträgen nicht zustehen – wie etwa im Verteidigungsbereich. „Die EU nutzt jede Krise, um ihre Macht auszuweiten – sei es Corona oder jetzt der Ukrainekrieg. Und die Regierungen in den Mitgliedstaaten machen mit, weil sie einen Bedeutungszuwachs wittern.“

Die EU ködert mit Geld – und alle spielen mit

Kerber erklärt das Prinzip: „Die EU-Kommission lockt die Nationalstaaten mit Geld. Dafür schafft sie neue Fördertöpfe, etwa für Rüstungsgüter. Die Nationalstaaten sehen ihre Chance – und die Rüstungsindustrie ermutigt die Regierungen noch zu Rückendeckung.“ Das Resultat: Niemand in Europa widerspricht – und schon gar kein Kanzler oder Ministerpräsident schreibt Brüssel, dass die Kommission hier ihre Kompetenzen überschreitet.

Verfassungsjurist Kerber warnt: Brüssel überschreitet seine BefugnisseEXXPRESSTV/EXXPRESSTV

Dabei sei der rechtliche Rahmen klar: Laut Artikel 346 AEUV ist die Beschaffung von Waffen ausschließlich nationale Angelegenheit.

Kerber sieht auch innenpolitische Motive: „Das österreichische Verteidigungsministerium ist geopolitisch inexistent. Es will auf diesem Weg aus der Versenkung kommen.“

Brüssels Plan ist weltfremd

Grundsätzlich hält Kerber viele der Brüsseler Pläne für kaum umsetzbar: „Eine gemeinsame Rüstungsbeschaffung ist extrem schwierig. Die Bedürfnisse der Staaten sind zu unterschiedlich. Die Fregatten in Frankreich und Italien haben nichts gemein. Gemeinsame Projekte funktionieren – wenn überhaupt – nur bei Munition.“

Was in Österreich viele Menschen interessieren wird, ist unterdessen vor allem eine Frage: Wie kann Österreich als neutraler Staat mitmachen, wenn die EU zur Militärmacht werden will? Das offizielle Österreich sieht keinen Widerspruch, das inoffizielle hat Zweifel.